Unterhaltung: "Hautnah"

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 05:24

18 Uhr, alles wie immer. In den gut einsehbaren Ecken keine Spruchbänder oder
Schilder mit Buchstaben wie A E I D G P oder anderen verdächtigen Kombinationen. Also auf zur Runde. Oh, da sitzen 3 verdächtige Gestalten. Ich sehe sie von hinten, muss auch nicht direkt vorbei. Zugegeben, die Oberbekleidung sieht irgendwie nach Leder aus. Könnten das Nazis sein? Ich habe ja keine Ahnung und sehe sehr selten welche, aber auszuschließen ist es nicht. Beruhigend, dass sie sich weniger für mich interessieren als ich mich für sie. Aus 10 m Entfernung wage ich einen Blick zurück. Und was sehe ich? Einer der 3 ist dunkelhäutig. Ok, meine Brille ist nicht ganz scharf, könnte auch eine Tarnung sein, doch irgendwie bin ich beruhigt, denn von dunkelhäutigen Nazis habe ich noch nie was gehört.
Henry und ich brauchen nun dringend was zu trinken, das Abendcafe könnte wohl offen haben, Zeit ist noch, also angesteuert.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 05:30

Ich ertappe mich dabei, wie ich Autonummern betrachte. Sind verdächtige Kombinationen dabei. ZK? halt, nein, andersrum KZ? HH? SH (gibt es das überhaupt oder ist noch keiner drauf gekommen, dass das verboten werden muss?). Keine Verdachtsmomente, also weiter Richtung Cafe. Oha, grölende Stimmen! Und tatsächlich, einige Gruppierungen, genauer gesagt, zwei Tische mit je 6 jungen Männern sehe ich, aha! Vorbereitung des Aufmarsches!
Doch Henrys und mein Durst sind viel größer als unsere Naziangst (trotz des nicht vorhandenen Mitgliedsausweises) und als wir dann lesen: Heute Grillabend, eat, what you can for 9,87 € sind wir endgültig beruhigt. Mit "what you can" ist ja wohl weder unser Hund gemeint (Ach, das waren ja eh die Chinesen und nicht die Nazis) und da Nazis mir bisher auch nicht als Menschenfresser bekannt waren, dürfte es wohl auch nicht um die Flüchtlinge gehen.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 05:37

Rechtzeitig, um gegen 18.45 etwa einzutreffen, verlassen wir, getränkegestärkt, den gastlichen und friedlichen Ort - die jungen Leute blieben wie erwartet dort, mittlerweile Grillduft usw., sicher viel wichtiger als die Veranstaltung für sie, egal, also zur Sache. Das erste, was ich sehe - und auch das einzige ungewöhnliche, ist: ein Polizeiauto.
Interessierter Blick des Polizisten (den Rangabzeichen nach der Chef der zuständigen Polizeiinspektion) auf mich und meinen Kampfhund: Aha, da kommt der erste Nazi!
Doch Henrys Schnappatmung hilft mir, meine Tarnung aufrecht zu erhalten, mein "er braucht dringend eine Verschnaufpause" ist überzeugend und wir können - von weiteren Verdachtsmomenten unbehelligt - direkt im Schatten neben dem Auto uns aufhalten.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 05:40

Bis kurz vor 7 trudeln 1 bis 5 Leute ein, die Polizeipräsenz (ein Auto, 2 höherrangige Beamte) schreckt scheinbar ab - einige nette, friedliche Gespräche mit den Polizisten (allerdings nicht über die Flüchtlinge, davon haben die keine Ahnung und sind auch in keiner Weise zuständig) - dann wollten sie abrücken, denn es war 7 Uhr, wird es plötzlich spannend. 2 Ereignisse gleichzeitig.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 05:46

Menschenauflauf 50 m weiter? Die Polizisten gehen in Stellung, doch das Ganze entpuppt sich als Spaziergang einer Gruppe von 4 Leuten mit 3 Hunden, von denen sich einer losgerissen hat und in Richtung zu uns her gelaufen ist. Gut, dass mittlerweile am anderen Eck in sicherer Entfernung sich eine Gruppe neugieriger Bürger (auch so 4) versammelt hat, die den Hund (Kampfhund wie meiner, nur dünner und schneller) aufhalten konnten. Das zweite bedeutende Ereignisse war das Eintreffen eines jungen Paares (wiederum mit geschickter Tarnung durch einen mitgenommen Hund - der noch dazu an seinem Geschirr den echt deutschen Namen "Fernando" trug. Interessant daran, dass sich der junge Mann sofort ungefragt gegenüber der Gruppe beim Polizeiauto (also den beiden Polizisten, mir, noch einem Bürger) als Autor des Schreibens outete.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 06:00
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 09:52

Nun ja, es wird hell, ich brings zu Ende, bereite meine Molotow-Cocktails für das Abbrennen der Asylantenunterkunft noch nicht vor (wär auch zu früh, sie steht ja noch gar nicht). Einige nette Gespräche noch; es besteht allgemein Einigkeit darüber, dass man mit Augenmaß alles angehen soll. Mich persönlich beruhigt es, dass für einen solchen Notfall (rechter Aufmarsch!) gleich 2 Polizeiautos - eines kam für kurze Zeit noch dazu - möglich ist, trotz der Personalknappheit. Das lässt hoffen, dass auch im Falle von Problemen mit den Asylbewerbern ausreichend Polizeipräsenz möglich ist. Was mir noch bleibt, ist die Reflexion darüber, wie gefährlich die rechte Szene doch überall ist und wie sie sich tarnt: Friedliche Bürger mit Hund; Farbige in ihren Reihen. Wer weiß, ob nicht sogar bekennende Nazi-Feindlichkeit eine Supertarnung ist, um - wie bei so Doppelagenten - im Unter-, Vorder- oder Hintergrund entsprechend agieren zu können?

Ich bin jedenfalls zufrieden und habe das mir mögliche getan, um meine Straße, mein Viertel, meinen "Block", vor unangebrachter Ausländerfeindlichkeit einerseits zu beschützen und andererseits meinen Beitrag dafür geleistet, dass auch besorgte Bürger eine Gelegenheit zur Aussprache finden (oh, das ist missverständlich, ich meine einfach mit meiner Präsenz neben dem Polizeiauto). Dafür, dass die ganze Sache unvoreingenommen, aber ohne Pathos "Ach wie toll, wir lernen noch mehr andere Kulturen kennen" und ähnlichem Antirechtsparolen über die Bühne gehen kann. Ich sehe der Ansiedlung gelassen entgegen und denke mal, wenn alle Politiker und vor allen Dingen alle Radikalen auf Parolen verzichten würden und Augenmaß beweisen würden (tja, nur: Wie soll das ein Radikaler können?), wie schön wäre die Welt.

gute Nacht, äh, schönen Sonntag!

Ex-Stubenhocker #159827, 28. Juni 2015, um 08:02

Ging ja hoch her. Meiner Meinung nach, besteht auch noch die Möglichkeit,daß Insiderwissen nach außen gedrungen ist.
Möchte sagen,daß bekannt wurde, daß das Ereignis im Forum veröffentlicht werden würde.
Es könnte auch noch eine gewisse Abschreckung bewirkt haben.
In diesem Sinne Akkusativ Singular, wie der Berliner zu sagen beliebt.
Schöner Bericht! 👍

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 08:18

Ich glaube, was das Forum anbetrifft, da irrst du dich. Ich kenne niemanden, der außerhalb des Skatkreises sich für das Forum interessiert. Und auch dort ist die Zahl minimal bei uns. Die Ankündigung der Polizeipräsenz und die Feststellung des Bürgermeisters, dass es sich um eine verbotene Veranstaltung handelt, das hat seine Wirkung getan.

Ex-Stubenhocker #159827, 28. Juni 2015, um 08:24

Lieber John,ich schließe mich Dir an.

Ex-Stubenhocker #186, 28. Juni 2015, um 08:42
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 08:42

Du hast wahrscheinlich deine Region und die Bedeutung des Skatspiels dort als Grundlage deiner Vermutung genommen. Bitte erkläre mir noch das mit dem Akkusativ Singular!

heidi69, 28. Juni 2015, um 08:43
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 09:06

Ein vernünftiges,öffentliches Umgehen mit dieser Problematik,ohne diese billige"wir müssen,jeder Bürger muss doch,ect"hilft den Menschen hier und auch den Flüchtlingen...eine "Migrantensteuer"wäre ein katastrophaler Finanzierungsversuch...
Ich glaub nämlich,das die Bürger dieses Landes,die nicht unbedingt gutsituiert sind,sich die meisten Sorgen darum machen ob sie bald noch nen 2. 450 eu Job neben ihrer Arbeit brauchen...

georgbest, 28. Juni 2015, um 10:25
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 10:26

Passend zum Thema:

Das Land SH hat es sich zum Ziel gesetzt, an drei Uni-Standorten Gemeinschaftsunterkünfte für die Erstaufnahme von Asylbewerbern (3 Standorte zu je 600 Personen) zu bauen. Die dafür erforderlichen Grundstücke will sich das Land von den 3 Städten beschaffen. Die Verwaltungsspitzen dieser 3 Städte haben jeweils grünes Licht gegeben.

In der Stadt Lübeck bedarf eine Grundstücksveräußerung ab einer bestimmten Größenordnung der Zustimmung der Bürgerschaft (in anderen Städten nennt man das Stadtvertretung oder Stadtparlament; es handelt sich um das von den Stadtbürgern gewählte Parlament).
Und was haben die vor wenigen Tagen entschieden: Nein, das Grundstück wird nicht verkauft. Die einzige Fraktion, die dafür stimmte, war die SPD. Nun ja, in SH stellt die SPD auch den Ministerpräsidenten. Aber schon der Koalitionspartner der SPD auf Landesebene, die Grünen, enthielten sich der Stimme.

Die Zustimmung zum Grundstückskaufvertrag wurde versagt, weil sich die Anwohner im Vorfeld massiv gegen die Errichtung einer Asylbewerberunterkunft mit einer Belegung von 600 Bewohnern ausgesprochen hatten. Die Mehrheit der Bürgerschaft folgte dem und vertrat die Auffassung, dass in einer so welt offenen Stadt wie Lübeck den Anwohnern höchstens Unterkünfte mit 200 Bewohnern zumutbar wären. Und das ist in Kenntnis des Umstandes, dass es eine kleine Gemeinde in SH gibt, die weit unter 10000 Einwohner hat, aber eine Asylbewerberunterkunft mit 500 Bewohnern reibungslos betreibt.

Gut, dass Willy Brandt, der Sohn der Hansestadt Lübeck, das nicht mehr miterleben musste.

steffekk, 28. Juni 2015, um 10:38

in Bayern regelt man eigentlich so etwas auf diese Art und Weise, deshalb war ich auch zu Beginn etwas über die Threaderöffnung verwundert.

ab 1.55
https://www.youtube.com/watch?v=ZqqQ_cSUTCY

Ex-Stubenhocker #162237, 28. Juni 2015, um 10:48

Das glaube ich nicht, Johnny. Es gibt viele Menschen, die auch so denken.

heidi69, 28. Juni 2015, um 11:19
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:20

Dann muss man mal ein wenig Basisarbeit leisten und den Leuten,die bei FB oder Bild nur über Greueltaten lesen auch mal andere Beispiele aufzeigen...Leute die nicht in Wohlstand leben,die im Brennpunkt wie hier in der Nordstadt leben,die Gewalt und Beschimpfungen täglich erleben, wollen natürlich keine weitere Sorge dazu...
Betroffenheit und Wut über diese Ablehnung sind im Mittelstand und darüber sehr häufig vertreten...aber darunter ist es umgekehrt

georgbest, 28. Juni 2015, um 11:31
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:34

Ich fürchte, dass der Relativismus immer mehr zunimmt. Uns wird doch täglich erzählt, dass die globalisierte Welt auf Komplexität ausgerichtet ist und komplexe Sachverhalte keinen einfachen Lösungen zugänglich sind. Dieser Befund mag zwar richtig sein, er führt aber in die Irre, weil diese Denkweise schleichend dazu führt, dass sie alle Verhaltensweisen der Menschen durchdringt. Es herrscht dann nur noch Beliebigkeit im Denken - sprachlich die wahre Absicht verhüllend als "Pragmatismus" eingekleidet.
Aber: So werten die letzten Bastionen geschleift - Positionen, die einer inneren Überzeugung entsprechend, unverrückbar sind, stehen plötzlich zur Disposition. Mich beunruhigt das zunehmend! Ich mag das: "Hier stehe ich und kann nicht anders!"

heidi69, 28. Juni 2015, um 11:39

Genau DAS ist auch ein Problem-sehr viele Menschen wissen überhaupt nicht wovon du redest...
Klar ist die Flüchtlingspolitik ein komplexes Thema aber wenn man den Leuten Angst nehmen will muss man simplifizieren...

heidi69, 28. Juni 2015, um 11:41
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:41

wenn so gesprochen oder geschrieben wird,wie du grad,Ace werden die Leute,die ängstlich Flüchtlinge am liebsten in nur von hinten sehen,nie Akzeptanz zeigen

Ex-Stubenhocker #162237, 28. Juni 2015, um 11:47

Aber Heidi, auch wenn man den Text von Ace vielleicht nicht ganz durchdringt, so ist doch seine Kernaussage für jeden Verständlich:
"Hier stehe ich und kann nicht anders!"

heidi69, 28. Juni 2015, um 11:53
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:54

klar,der Text ist mir auch völlig verständlich-
es geht mir auch nur darum,das man so niemanden erreicht,der gegen Flüchtlingsheime protestiert...
das hat nichts mit der Aussage des Textes von Ace zu tun,sondern der Art des Ausdrucks zu tun...
wer solche Art der Ausdrucksweise praktiziert,wir keine Mauer in den Köpfen niederreissen DAS war meine Aussage...

georgbest, 28. Juni 2015, um 11:54
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:54

Ceci, es war mir noch nie ein Anliegen, Menschen wie diesen heidi zu erreichen, dafür sind hier andere zuständig.
Es klingt zwar überheblich, es entspricht aber letztlich meiner Denkweise (siehe den letzten Satz in meinem vorherigen Beitrag).

heidi69, 28. Juni 2015, um 11:56
zuletzt bearbeitet am 28. Juni 2015, um 11:56

noch mal ganz einfach-nicht der Sinn,sondern die Ausdrucksweise verhindert Verständnis

Opal, 28. Juni 2015, um 11:58

... stellt mal Weihrauch zur Verfügung. 😜

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